Ich zog einen Vorhang über diesen Albtraum

... ich war erst 16 Jahre alt ...

Als ich mit 16 Jahren schwanger wurde, war ich erst geschockt, doch dann kann ich mich an das Gefühl der Freude erinnern. Der Kindsvater reagierte distanziert. Er weihte seine  Mutter mit ein und ich meine. Die Aussage meiner Mutter war: “Egal, wie du dich entscheidest, ich steh` zu dir.“ Die Mutter des Kindsvaters lud mich und meine Mutter zu einem Gespräch ein, der Kindsvater war nicht anwesend. Bei diesem Gespräch, in dem meine Mutter und ich so gut wie nichts sprachen, wurde mir  von der Mutter des Kindsvaters eine Abtreibung vorgeschlagen und gleich die Adresse eines Abtreibungsarztes gegeben. Bis zu diesem Zeitpunkt war für mich die Möglichkeit eine Abtreibung für mich in Anspruch zu nehmen noch nicht in Betracht gekommen, doch jetzt stand sie im Raum.

... das Beratungsgespräch ...

Es nahm seinen Lauf. Mit dem Kindsvater nahm ich den ersten Kontakt mit dem Abtreibungsarzt auf. Im Rückblick sehe ich auch eine Hilflosigkeit und Sprachlosigkeit von ihm. Wir waren beide Teenager und völlig überfordert. Das „Beratungsgespräch“ bei Pro Familia (staatliche Beratungsstelle) war eine kurze, sachliche Abhandlung mit der Feststellung, dass ich jung und in Ausbildung war. In wenigen Minuten hatte ich den Schein zur legalen Abtreibung. Wenige Tage vor dem Schwangerschaftsabbruch schrieb ich mein Gedicht „Nullpunkt“:

 

 

Nullpunkt

 

Du bist traurig.

Du denkst, ich kann nicht mehr,

das Leben ist sinnlos und leer.

Du willst weinen,

doch es geht jetzt nicht,

in diesem Dunkel,

wo ist das Licht?

Du denkst,

 

Was will ich mit diesem Leben,

das von Gott mir gegeben.

Die Probleme nehmen überhand,

die Lösung wird oft nicht erkannt.

 

Du betest, Herr hilf mir doch,

mit diesem großen Joch.

Meine Lösung ist nicht mehr fern,

doch sie hat des Teufels Kern.

... ich zog einen Vorhang über diesen Albtraum ...

Ich war nicht in der Lage, mich weiteren Personen anzuvertrauen - meine Scham war riesengroß. Am Tag der Abtreibung wurde ich zur Abtreibungspraxis gefahren.

Es dauerte nicht lange, dann war der Abbruch vollzogen und ich durfte wieder nach Hause. Dort weinte ich in meinem Bett und dann zog ich innerlich einen Vorhang über diesen Albtraum. Ich wollt es vergessen. Jahrelang sprach ich mit niemandem darüber. Die Beziehung zum Kindsvater zerbrach noch im gleichen Jahr.

 

Als ich sieben Jahre später meinen Ehemann kennenlernte, war ich schon längst eine entschiedene Christin geworden. Beim Bibellesen zeigte mir Gott, dass ich meinem zukünftigen Ehemann von dem Schwangerschaftsabbruch erzählen muss, damit er sich noch überlegen kann, ob er mich trotzdem zur Frau möchte. Mein lieber Mann nahm mich trotzdem an. Wir schauten kurz hinter diesen Vorhang, wollten aber das Geschehene nicht näher betrachten. Es sollte als Vergangenheit abgelegt sein. Als ich bald nach unserer Hochzeit schwanger wurde, war die Freude groß. In der 12. Schwangerschaftswoche hatte ich dann aber einen Abgang und ich merkte, dass Kinder bekommen keine Selbstverständlichkeit ist. Trotzdem schenkte uns Gott mehrere Kinder. Dafür sind wir so dankbar.

... Wut auf "ProFamilia" ...

Durch den Stiftungsbrief von „Stiftung Ja zum Leben“ begann ich, immer häufiger über meine Abtreibung nachzudenken. Als ich den Brief zum ersten Mal las, war ich total geschockt. Dort wurden Frauen ermutigt, ihr Kind zu behalten und ihnen wurden Hilfsangebote aufgezeigt. Ich bekam eine Wut auf „Pro Familia“, die mir außer einer Abtreibung in keiner Form irgendeine Hilfe für mein damaliges, ungeborenes Baby angeboten hatte. Jahrelang las ich ab und zu diesen Stiftungsbrief. Er wühlte mich emotional auf. Es entstand der Wunsch in mir, eines Tages darüber zu reden. Hatte ich doch über zwei Jahrzehnte geschwiegen. Vor allem will ich es auch meinen Kindern noch erzählen, bevor ich einmal sterbe.

... erste Schritte zu neuer Hoffnung ...

Gott führte mich auf eine wunderbare Art zu „Endlich wieder Leben!“ Als ich dort während einer Schulung vom Post Abortion Syndrom (Abtreibungstrauma) hörte, war ich schockiert und merkte, dass ich jetzt meinen Vorhang aufmachen und meine Abtreibung aufarbeiten musste. Kam es bei mir doch immer wieder zu depressiven Verstimmungen mit lebensmüden Gedanken, die ich mir nicht erklären konnte. Gott bestätigte mir ganz eindeutig diesen Weg durch die nächste Sonntagspredigt.

 

 

Mit Erika Wick und Gisela Fehr machte ich den Aufarbeitungskurs nach einer Abtreibung. Manchmal fragte ich mich, was sie denn von mir wollen, wenn ich etwas nicht verstand. Doch Gott führte mich Schritt für Schritt in diesem Kurs. Die Fragen wurden aufgelöst. Ich kam zu dem Punkt, an dem ich schmerzhaft feststellen musste, dass ich mir meinen Schwangerschaftsabbruch nicht vergeben hatte.

 

... ich weinte bitterlich über meine Schuld ...

Bitterlich weinte ich über meine Schuld. Ich wusste doch damals, dass es Sünde war und ich wusste auch, wie grausam es für ein ungeborenes Kind ist, denn ich hatte Monate vor der Abtreibung ein Referat zu diesem Thema gehalten. Mein Versagen, meine Schuld, meine Scham, unterdrückte Trauer und vieles andere floss in einem scheinbar nie enden wollenden Tränenstrom. Die Tatsache, dass Jesus Christus auch für diese - meine - Schuld am Kreuz gestorben war, war jetzt in meinem Herzen angekommen. Erika zeigte mir nochmals, was Gott aus Liebe zu mir getan hat. ER hat seinen Sohn auch für die Schuld meiner Abtreibung geopfert. Jesus Christus ging für mich ans Kreuz und hat sein kostbares Blut vergossen. Jesus Christus hat mich erlöst. Es gibt kein größeres Opfer.  Erika sagte, dass Jesus am Kreuz gerufen hat: „Es ist vollbracht!“

... unbeschreibliche Freude ...

In meinem Herzen konnte ich jetzt erfassen, was Vergebung für mich bedeutete und das erfüllte mich mit einer unbeschreiblichen Freude. An diesem Tag sah ich die Welt mit anderen Farben. Die Freude durch die Vergebung durch meinen Erlöser Jesus Christus darf ich immer noch spüren. Weil Gott mir vergeben hat, konnte ich mir jetzt auch vergeben. Das wünsche ich allen betroffenen Frauen und Männern. Folgendes Gedicht schrieb ich daraufhin:

 

Erlösung

 

Ist Lösung,

ist Befreiung,

von Schuld und Scham.

Es ist Jesus der sie mir nahm.

 

ER starb für mich.

Er starb für dich.

Jesus spricht: „Ich liebe dich!“

 

Nimm sein Angebot an

Und denk daran:

ER hat die Lösung,

sie heißt Vergebung.

 

So beginnt Neuanfang.

... Versöhnung ...

Ich habe nicht nur diese unbeschreibliche Freude bekommen, sondern auch meinen inneren Frieden. Außerdem konnte ich einige Zeit später zwei wichtige Gespräche führen - das hat Gott für mich gemacht. Zum einen mit meiner Mutter, mit der ich bis dahin nie mehr darüber gesprochen hatte, und auch sie hat nie mit jemandem darüber gesprochen. Sie bedauerte zutiefst, dass sie mich damals nicht ermutigt hatte, das Kind zu behalten. Wir konnten uns gegenseitig vergeben. Ihre Reue und das Gespräch taten mir so gut.

 

Ferner konnte ich mit der Mutter des Kindsvaters ein Gespräch führen. Sie hat in all den Jahren an mich gedacht, wie es mir wohl ginge. Mit ihrem Sohn (dem Kindsvater) hat sie nie mehr darüber gesprochen. Doch sie hat das Gefühl, dass er sehr darunter leidet. Hatte er doch vor etlichen Jahren eine schwere Psychose und kann einfach keine feste Bindung eingehen ...

 

Es war mir ein großes Anliegen, diese Frau um Vergebung zu bitten, dass ich ihr Enkelkind abgetrieben habe. Sie bedauerte es selber, dass sie mir damals nicht mehr Hilfe geben konnte und bat mich ihrerseits um Vergebung.

 

Dem Kindsvater habe ich einen Brief geschrieben und ihn um Vergebung gebeten und ihm auch gesagt, dass ich ihm vergebe. Diesen Brief gab ich seiner Mutter. Er ist für beide die Chance zu einem hilfreichen Gespräch.

 

Gottes Liebe und Gnade ist unendlich groß.

 

Die Fremde